Wenn wir zu einem Elternsprechtag gehen und in die Runde blicken, dann stellen mein Mann und ich immer wieder fest, dass wir zu den älteren Eltern gehören. Wir haben beide Kinder aus erster Ehe und die sind etwa 20 Jahre älter, als unsere gemeinsamen Kinder. Zwar haben wir gemeinsam erst sehr spät Kinder bekommen, aber zumindest 10 Jahre sind die meisten Eltern jünger. Nachdem ich ursprünglich auf dem Land gelebt habe, sind wir die ersten Jahre auch in ein kleines Haus in einem winzigen Dorf gezogen. Dort waren wir grundsätzlich glücklich, hatten aber irgendwann zu wenig Platz. Mit dem dritten Kind gab es dann endgültig ein Zimmer zu wenig und wir sind in die Stadt gezogen. Das hat sich damals sehr gut ergeben, denn meine Älteste war mit der Schule fertig und wollte studieren und die Kleinen waren alt genug für den Kindergarten. Nach einiger Diskussion sind wir dann nach Wien gezogen. Die Vorteile der Stadt und die Nähe zum Arbeitsplatz meines Mannes haben den Ausschlag gegeben. Was wir im Zuge des Umzugs aber bemerkt haben ist, dass uns das an unsere Grenzen bringt. Wir haben damals beschlossen, dass wir nie wieder umziehen werden. Mal sehen, ob wir das schaffen.
Vorteile der Stadt
Alle wollen ein Häuschen auf dem Land haben, um im Grünen zu leben. Wir sind bewusst von so einem Häuschen nach Wien, die zweitgrößte deutschsprachige Stadt gezogen. Hier leben wir zusammen mit 2 Millionen anderen Menschen auf relativ engem Raum. Allerdings hat das nicht nur Nachteile. Man hat hier mehr, als man braucht. Während es an unserem alten Wohnort nur einen einzigen Kinderarzt im gesamten Bezirk gab, gibt es hier an jeder Ecke einen Arzt. Nachdem mein Sohn sich viel bewegt und sich dabei gerne kleinere Verletzungen zuzieht, gibt es auch mehrere Unfallkliniken, die wir sehr gut kennen und die und um die Uhr bereitstehen. Wir haben unseren Hausarzt und ein Röntgeninstitut in Gehweite. Genauso gibt es mehrere Labore, die wir ohne Probleme zu Fuß erreichen. Kinderarzt und Augenarzt sind ebenfalls nur ein paar Minuten von unserer Wohnung weg. Selbst wenn wir ans andere Ende der Stadt wollen, können die Kinder kostenlos und wir für wenig Geld mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Es gibt also richtig viele Vorteile. Spätestens, wenn man wirklich alt wird, ist man in der Stadt besser aufgehoben. Ein Einkauf in der Nähe ist problemlos möglich und man findet jeden Arzt in akzeptabler Reichweite. Nicht zuletzt gibt es alle paar Meter eine Bildungseinrichtung und wir konnten und Kindergarten, aber auch Schulen aussuchen.
Raumaufteilung
Eigentlich ist unsere Wohnung auch ganz gut angelegt. Sie ist im Grundriss rechteckig und hat an den Schmalseiten jeweils einen Balkon über die ganze Länge. Im vorderen Bereich, zum Park, ist das Wohnzimmer über die ganze Breite. Auf der anderen Seite sind drei schmale Zimmer nebeneinander. Die drei Zimmer sind etwa gleich groß, insgesamt aber eher klein. In der Mitte sind Bad und WC und ein L-förmiger Flur, der alle Räume miteinander verbindet. Wir wohnen hier wirklich gerne, haben viele Freunde gefunden und schätzen die zentrale und gleichzeitig wirklich ruhige Lage. Auf der anderen Seite haben wir drei Kinder, die momentan in zwei Kinderzimmern leben. Die Älteste geht auf die 13 zu, wird also mittlerweile eine junge Frau und die jüngste ist 9. Die beiden müssen sich ein Zimmer teilen. Momentan geht das, aber wie lange noch? Fast 4 Jahre Unterschied bedeuten, dass die 16-Jährige dann mit der 12-Jährigen zusammenleben muss. Mein Sohn hat es da besser. Nach einiger Diskussion haben wir die Kinder nach Geschlechtern getrennt. Statt der Ältesten hat also er ein eigenes Zimmer. Das dritte Zimmer ist unser Schlafzimmer.
Schlafnomaden
Mitunter werden Abends die Betten getauscht. Mein Mann und ich schlafen gerne bei einem der Kinder ein, wenn wir uns Abends mal zu ihnen legen. Gute-Nacht-Geschichten, Dunkelheit und Behaglichkeit führen rasch dazu, dass uns auch die Augen zufallen. Oft schon vor den Kindern. Außerdem kann es immer wieder passieren, dass jemand auf der Couch im Wohnzimmer schläft. Die Kinder schlafen auch ganz gerne mal in unserem Bett, bei einem ihrer Geschwister, oder sogar auf Matratzen am Boden. Es gibt, zumindest wenn am nächsten Tag keine Schule ist, also keine Garantie dafür, neben wem man einschläft. Aber auch das wird sich wahrscheinlich mit den Jahren aufhören. Irgendwann wird die Älteste wohl kein Interesse mehr daran haben, neben ihrer Mutter zu schlafen. Vielleicht hat sie dann auch kein Interesse mehr, neben ihrer Schwester zu schlafen. Zusätzlich hat sie jetzt schon viel mehr Bedarf, allein zu sein, als noch vor ein paar Monaten.
Rückzugsorte
Mein Sohn ist der einzige, der die Möglichkeit hat, sich in seine vier Wände zurückzuziehen. Sonst hat keiner von uns sein eigenes Reich. Mein Arbeitsplatz steht im Wohnzimmer. Der Bildschirm ist an die Wand montiert und der Schreibtisch ist etwa 1 Meter breit. Mein Mann hat einen Arbeitsplatz im Schlafzimmer, wo er zwei Monitore an die Wand montiert hat und einen kleinen Klapptisch als Schreibtisch verwendet hat, als er während Corona Homeoffice machen musste. Einen der Monitore musste er aus Platzmangel hochkant montieren, sonst wäre in der Ecke zu wenig Platz gewesen. Es gibt also durchaus Platzbedarf, den unsere Wohnung aktuell nicht erfüllen kann. Auch die Möglichkeit mal für sich zu sein, ist relativ selten. Speziell die Älteste kann ihre kleine Schwester nicht davon abhalten, ins gemeinsame Zimmer zu kommen. Allerdings haben wir uns bei unserem letzten Umzug eben ganz klar versprochen, nie wieder umzuziehen.
Umzug
Es ist, als ob es gestern war. Der Umzug war anstrengend und prägend. Mit zwei kleine Kinder und schwanger war ich keine große Hilfe. Trotzdem war auch für mich genug zu tun. Umzugskartons packen, Kästen ausräumen und für die Verpflegung sorgen. Mein Mann musste Möbel zerlegen und jede Menge durch die Gegend schleppen. Wir haben schon vorher immer wieder kleine Fuhren zu meiner Schwiegermutter gebracht und dort in Garage und Keller ein paar Dinge eingelagert. Bei der letzten Fahrt haben wir auch nicht alles untergebracht. Der Klein-LKW und unser Family-Van waren bis unters Dach voll. Also haben wir noch ein paar Kartons bei den Nachmietern untergestellt und ein paar Tage später geholt. In Wien haben wir dann die ersten Nächte auf dem Boden geschlafen und mussten ohne Küche leben. Die kam erst nach etwa einer Woche. Mein Mann hat mit seinem ältesten Sohn und ein paar Freunden alles in die Wohnung geschleppt und alle Möbel zusammengebaut. An die Möglichkeit ein Umzugsunternehmen zu engagieren haben wir damals nicht gedacht. Dabei kann man bei einem solchen Unternehmen auch das Ein- und Auspacken und alle Montagen buchen. Wenn wir irgendwann einmal doch noch umziehen sollten, dann werden wir uns das leisten, egal was es kostet. Was ein Umzugsunternehmen in Berlin kann, wird es auch in Wien geben. Also wenn Umzug, dann nur noch mit Profis. Aber wollen wir überhaupt umziehen?
Entwurzelung
Ein Umzug hat immer zwei Seiten. Auf der einen Seite startet natürlich ein neues spannendes Kapitel voller Möglichkeiten. Auf der anderen Seite lässt man auch viel zurück. Ich könnte heute noch heulen, wenn ich daran denke, wie ich meine ehemalige Nachbarin aus den Augen verloren habe. Wir schreiben und hin und wieder, aber damals haben wir uns Tag für Tag gesehen. Unsere Reihenhäuser standen abgelegen am Rand des Dorfes und es gab wenig andere Menschen, mit denen ich mich austauschen konnte. Unsere Nachbarn waren damals auch das stärkste Argument, das gegen einen Umzug sprach. Trotzdem haben sie gegen die Infrastruktur in der Stadt verloren. Wir standen auch damals schon vor der Entscheidung zu gehen, oder zu bleiben und haben Argumente abgewogen. An dem Punkt sind wir nach 10 Jahren wieder. Es wird eng in unserer Wohnung. Erst gestern waren wir bei der Züchterin und haben uns über einen Hund unterhalten, den wir uns nächstes Jahr anschaffen wollen. Es wird also noch Familienzuwachs geben. Auf der anderen Seite fühlen wir uns hier auch sehr wohl und ein Umzug wäre wieder einmal eine echte Entwurzelung.
Modernen Luxus
Dass jedes Kind ein eigenes Kinderzimmer braucht, ist in meiner Wahrnehmung ein recht junges Phänomen. Mein Mann und ich hatten in der Kindheit kein eigenes Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung. Auch Mitschülerinnen und Mitschüler hatten in der Regel diesen Luxus nicht. Es gab damals ein Kinderzimmer in den Wohnungen. In dem Zimmer schliefen die Kinder. Also alle Kinder. Allerdings hat man heute meist auch weniger Kinder, also stellt sich diese Frage auch nicht. Wer nur ein Kind hat, muss nicht darüber nachdenken, ob es sich ein Kinderzimmer teilen muss, oder nicht. Bei drei Kindern sieht das anders aus. Sieht man sich den Wohnungsmarkt an, dann zeigt sich, dass auch die Bauträger keine Wohnungen mit drei Kinderzimmern einplanen. Solche Wohnungen sind schlichtweg nicht verfügbar. Das ist auch der Grund, warum wir in dieser Wohnung leben. Es gab keine größeren Wohnungen. Drei Zimmer sind bereits viel. Es stellt sich also die Frage, ob ein Umzug überhaupt eine Option ist. Abgesehen davon, dass der Umzug selbst Aufwand und Kosten verursacht, wird die Miete mit einer größeren Wohnung steigen und wir werden wohl auch Abstriche, was die Lage angeht, machen müssen. Vielleicht finden wir eine andere Option.
Not und Tugend
Nachdem wir unsere Schlafsituation ohnehin recht locker anlegen und wir laufend die Betten wechseln, könnten wir ja aus der Not eine Tugend machen. Wenn wir so etwas, wie freie Bettenwahl einführen, statt jedem sein Bett fest zuzuweisen, dann wäre das Problem gelöst. Nach dem first-come – first-serve Prinzip könnte dann jeder dort schlafen, wo er mag. Zur Auswahl stehen 3 Einzelbetten, ein Doppelbett und ein großes Sofa im Wohnzimmer. Der einzige, der damit wahrscheinlich ein Problem hätte, wäre mein Sohn. Seine momentane Schlafsituation ist privilegiert. Er kann sich tagsüber zurückziehen, hat in seinem Zimmer Platz für einen kleinen Schreibtisch und Abends hat er seine Ruhe. Die Älteste muss, während mein Mann, oder ich die Kleinste hinlegen, im Wohnzimmer warten. Wie man es dreht und wendet, es wird nicht wirklich besser. Ein Umzug ist eine emotionale, körperliche und finanzielle Belastung. Gleichzeitig ist die Wohnsituation wahrscheinlich nirgendwo besser. Es gibt nun mal keine Wohnungen, die für drei Kinder geschnitten sind. Wenn doch, dann sind die weit außerhalb unseres Budgets. Wir würden also von einem Kompromiss zu einem anderen Wechseln.
Aussitzen
Also werden wir wahrscheinlich die Option, es auszusitzen wählen. Die Die Älteste ist zwar erst 12, aber es gibt durchaus die Perspektive, dass sie in 10 Jahren ausziehen könnte. Bis dahin kann sie tagsüber auch das Schlafzimmer nutzen, um sich zurückzuziehen. Für mehr als im Bett zu liegen, braucht sie ihr Zimmer momentan ohnehin nicht. Alles andere kann sie im Wohnzimmer machen, oder rausgehen. Es ist also auch eine legitime Option, einfach garnichts zu ändern. Wir haben genug Platz, auch wenn die Aufteilung nicht ganz ideal ist. Das Leben passiert bei uns um Wohnzimmer. Hier halte ich mich den ganzen Tag über auf, mein Mann verbringt die Zeit daheim in dem Raum und auch die Kinder haben hier ihren Lebensmittelpunkt. Privatsphäre muss man koordinieren, oder einfach in Kauf nehmen, dass man in einer Wohnung, in der 5 Personen leben, nicht stundenlang alleine sein kann. Natürlich würde ich den Kindern gerne alles bieten, was sie brauchen. Ich verstehe auch, dass sie Freiraum brauchen. Dabei muss ich aber auch Kosten und Nutzen abwägen und an die Zukunft denken. Wir haben unsere Wohnung auch bewußt so gewählt, dass wir hier alt werden können. Die paar Jahre, in denen die Kinder noch bei uns leben sind rasch vorbei. Ich möchte dann auch nicht mit 60 Jahren in einer 130 m² Wohnung sitzen, von der ich 80 m² nicht brauche. Also gehen wir momentan davon aus, dass wir erst mal hier wohnen bleiben. Aber mal sehen, ob wir dabei bleiben werden.
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