Unsere Wohnung liegt direkt gegenüber eines Parks. Wenn ich auf dem Balkon sitze, kann ich die Menschen beim Spaziergang beobachten. Besonders ins Auge steche mir dabei immer wieder Hundebesitzer. Auf den ersten Blick sieht man die gute Erziehung eines Hundes. Er geht brav links neben seinem Besitzer. Bleibt der Mensch stehen, setzt sich der Hund und blickt erwartungsvoll auf. Oft sind es furchteinflößende Tiere. Rassen, die man Kampfhunde nennt und die auf jeden Fall in der Lage wären den Menschen dazu zu bringen, Sitz zu machen, wenn sie das wollten. Würde jemand anderer, als der Besitzer den Hund zu etwas zwingen, würde sich das Tier das nicht gefallen lassen und auch andere Hunde würde er zerfleischen, wenn es ihm richtig erscheint. Wäre es nicht toll, wenn Kinder genauso stark und wehrhaft wären und dabei trotzdem das tun, was wir von ihnen wollen?
Seltsame Vergleiche
Natürlich kann man einen kleinen Menschen nicht mit einem Hund vergleichen. Das möchte ich auch nicht machen, aber der Anspruch der Hundebesitzer ist ziemlich ähnlich dem, was sich Eltern von ihren Kindern erwarten. Mit meinem heutigen Beitrag möchte ich an der Blogparade von Bella auf familieberlin.de teilnehmen. Sie fragt danach, wie man seine Kinder stark macht. Eine Frage über die ich jetzt seit fast einem Monat nachdenke. Dabei habe ich einige Ansätze verfolgt. Der Vergleich mit dem Kampfhund ist dabei auf den ersten Blick seltsam. Schaut man genauer hin, passt er doch irgendwie ganz gut. Zumindest als negatives Beispiel.
Kontrollierte Kraft
So ein Pitbull, Rottweiler, oder American Staffordshire Terrier ist ein wunderschönes Tier. Muskeln und messerscharfe Zähne gepaart mit einem eisernen Willen, jeden Kampf zu gewinnen und was auch immer zu verteidigen. Wahrscheinlich ist es die Kontrolle dieser Urgewalt, die Menschen dazu bringt sich so ein gefährliches Kraftpaket anzuschaffen. Das Wissen, dass dieses Tier jede Auseinandersetzung gewinnt, sich selbst und seine Familie bis zum Tod beschützt und trotzdem den Schwanz einzieht, wenn man ihn zurecht weist. Eine Rolle, die für den Hund kein großes Problem darstellt. Er spielt in seinem Rudel eine untergeordnete Rolle und der Mensch steht hierarchisch über ihm. Trotzdem ist er selbstsicher und stark. Ein Mensch hat damit ein großes Problem. Ist man stark und stolz, dann ordnet man sich nicht gerne und zumindest nicht auf Dauer unter. Ist man defensiv, introvertiert und ängstlich, dann ist man das in jeder Situation. Das muss man bei der Erziehung seiner Kinder bedenken. Starke Kinder haben soziale Kompetenz und finden sich im Leben gut zurecht. Kleinlaut sind sie aber nicht.
Starke Kinder
Wie also erzieht man seine Kinder zu starken Kindern? Es ist auf jeden Fall eine Gratwanderung. Auf der einen Seite muss man als Eltern dem Kind Regeln beibringen. Auch muss man das Kind beschützen und dafür sorgen, dass es sich nicht selbst in Gefahr begibt. Auf der anderen Seite lernt man nun einmal aus seinen Fehlern und die Kinder können sich nur dann entwickeln, wenn sie viel, oder sagen wir ausreichend Freiraum haben. Unterordnen, oder behaupten? Was erwartet man von seinem Kind? Tatsächlich möchte man beides erreichen. Das Kind soll sich den Eltern und anderen Menschen gegenüber respektvoll verhalten. Es soll Konflikte friedlich lösen, soll sich aber auch nichts gefallen lassen. Kinder sollen ihren eigenen Standpunkt vertreten und sich durchsetzen können. Gleichzeitig dürfen sie das aber in vielen Lebensbereichen nicht, oder würden sich dadurch in Gefahr bringen.
Alter Hut
Tja, die beste Erziehung macht keinen Sinn, weil die Kinder im Endeffekt sowieso das nachmachen, was ihnen die Eltern vorleben. Eine Weisheit, die so überhaupt nichts mit dem Kochrezept zu tun hat, das viele Erziehungseinsteiger suchen und das viele Erziehungsratgeber im Titel versprechen. Ein Kind hat keine Knöpfe auf die man drücken kann und auf die jedes Kind gleich reagiert. Stattdessen sind Kinder komplett verschieden und sogar eineiige Zwillinge ticken oft ganz unterschiedlich. Die Weisheit trifft aber auf jeden Fall zu. Punkt Eins, um seine Kinder zur Stärke zu erziehen, ist also das eigene Verhalten.
Mein Verhalten
Die Kinder beobachten Vater und Mutter und lernen das meiste durch diese Beobachtungen. Im Regelfall wird man als Elternteil nicht jeden Tag einen Streit mit Fremden haben, bei dem man den Kindern ein gutes Beispiel geben kann. Aber schon das Verhalten in der Familie ist ein wichtiger Erziehungsfaktor. Stärke kann man, meiner Meinung nach, zeigen, indem man in jeder Situation die Kontrolle behält. Wer seine Kinder ständig anbrüllt, der darf sich nicht wundern, wenn sie irgendwann anfangen zurückzubrüllen. Wer sich umdreht und geht, statt eine Diskussion, oder einen Streit zu führen, der zeigt seinen Kindern, dass dieses Verhalten in Ordnung ist. Hat man eine Meinungsverschiedenheit mit dem Kind, dann ist das eine Gelegenheit zu zeigen, wie man sich in so einer Situation verhält. Eine Argumentation auf Augenhöhe, statt Anordnungen. Aber gehen wir einmal davon aus, dass wir das alle, zumindest die meiste Zeit so machen. Jeder hat einmal einen schlechten Tag, aber ansonsten klappt das bei uns.
Balkon ohne Geländer
Ein weiterer Punkt, um seine Kinder zu stärken, sind sinnvolle Grenzen, die man ihnen setzt. Ich habe vor einiger Zeit das Buch „Wenn Tyrannenkinder erwachsen werden„, von Martina Leibovici-Mühlberger gelesen. Danach habe ich mir einige Interviews und Vorträge mit ihr auf Youtube angesehen. Eine Geschichte, die sie erzählt hat, finde ich ein sehr schönes Bild. Sie hat einen kleinen Balkon vor ihrer Praxis und beschreibt, dass sie mit Eltern immer wieder auf diesen Balkon in einem der oberen Stockwerke geht. Nachdem sie den Ausblick genossen haben, bittet sie darum, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn der Balkon kein Geländer hätte und man auf 3m² in mehr als 10 Meter Höhe schutzlos über der Straße steht. Sie nimmt diese Vorstellung als Bild für Kinder, die ohne Regeln aufwachsen.
Sinnvolle Grenzen
Auch wenn das Bild ziemlich überspitzt ist, ist die Kernaussage sicherlich richtig. Kinder brauchen Regeln, an die sie sich halten können. Sie geben ihnen Halt und Sicherheit. Gehen wir morgens aus dem Haus, dann laufen meine Kinder nicht auf die Straße. Sie betreten sie niemals, ohne mich, oder meinen Mann. Auch bei Garageneinfahrten bleiben sie stehen, selbst wenn sie weit vorlaufen. Diese Regel dient ihrer Sicherheit und ist ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Grenze. Die Kinder verstehen, warum sie nicht in den gefährlichen, von Autos befahrenen Raum gehen dürfen. Sie wissen auch, dass sie nicht direkt am Bordstein stehen bleiben sollen, wenn sie auf uns warten. Erstens ist es natürlich gefährlich, zweitens sind Autofahrer ansonsten verwirrt und bleiben unnötig stehen, bis sie die Situation einschätzen können.
Erklärung
Ich habe meinen Kindern erklärt, warum sie sich so verhalten müssen. Sie wissen, dass Autos gefährlich sind, sie zu klein sind, um immer gesehen zu werden und sie Abstand vom Borstein halten müssen, damit Autofahrer nicht annehmen, sie wollten alleine über die Straße gehen. Es dauert ein wenig, ihnen die Gründe zu erklären, aber es macht viel Sinn. Würden sie nicht verstehen, warum sie manche Dinge nicht dürfen, würden sie annehmen, dass das Verbot reine Willkür ist. So verstehen sie den Sinn und lernen, dass ihre Handlungen Konsequenzen haben können. Das Warten am Bordstein ist also keine Sache, die sie für ein Austesten ihrer Grenzen nutzen würden. Ich ertappe mich immer wieder dabei, Regeln aufzustellen und Verbote auszusprechen, die ich nicht erklären kann. Warum sollten sie etwa nicht nacheinander die Taste am Lift betätigen? Es schadet ja nicht und das leise Piepen stört sicherlich keine Nachbarn.
Optimismus
Vor einiger Zeit habe ich mich mit dem Thema Optimismus auseinandergesetzt. Es gibt Studien, die zeigen, dass Optimisten länger leben und dabei gesünder sind. Sie können mit Stress besser umgehen und haben damit eine Kompetenz, die in der Schule und im Berufsleben einen großen Vorteil bringt. Dabei kann man seine Kinder regelrecht zu Optimisten erziehen. Wenn wir mit dem Kleinen auf den Spielplatz gehen, dann gibt es daher eine eiserne Regel für uns Erwachsene. Sprüche wie „Pass gut auf, dass Du nicht runterfällst!“, oder „Vorsicht!“ sparen wir uns. Speziell mein Sohn klettert gerne auf die oberste Sprosse, rutscht über den Querbalken über der Schaukel und erklimmt das höchste Spielhaus.
Bestärken
Natürlich gibt es Grenzen, aber diese Grenzen sind sinnvoll und können erklärt werden. Manche Spielgeräte sind nicht ausreichen gesichert, oder für ihre Größe nicht geeignet. Das verstehen sie. Hängt eines meiner Kinder schon kopfüber auf 2 Meter Höhe am Klettergerüst, dann ist es sowieso zu spät. Jetzt noch zu ermahnen, vorsichtig zu sein und nicht zu fallen, kann man sich sparen. Sie sind sehr geschickt und können ihre Fähigkeiten gut einschätzen. Sie fallen sicher auch nicht absichtlich. Ein Schritt näher um es im Ernstfall auffangen zu können, aber ansonsten bestärken wir sie eher. Wir loben sie für ihre Leistungen und ihr Geschick. Das macht sie stark und stolz. Dazu haben wir auch noch eine zweite Regel. Kommt ein Kind nicht aus eigener Kraft nach oben, dann bleibt es unten. Schon alleine physisch wäre es nicht machbar drei Wirbelwinde auf jedes Spielgerät zu heben. So kommen sie auch nicht wirklich in Situationen, die sie überfordern. Beobachtet man andere Eltern, dann sieht man leider sehr oft, wie man es nicht machen sollte. Die Kinder werden auf die letzte Sprosse gehoben und dann wortreich zur Vorsicht ermahnt.
Starke Geschwister
Nicht zuletzt passiert ein Teil der Erziehung zu starken Kindern nicht durch die Eltern. Zu dritt haben meine Kinder schnell gelernt sich durchzusetzen und selbst die Kleinste kann ihren Bruder, der einen Kopf größer und viel kräftiger ist, als sie, einschüchtern. Als Jüngste hat sie gelernt sich durchzusetzen und treibt ihre Geschwister durch die Wohnung, wenn es sein muss. Immer wieder gibt es natürlich Konflikte und meist ist eines der Drei ausgeschlossen vom Spiel der anderen. Mein Mann und ich versuchen uns so wenig wir möglich in diese Konflikte einzumischen. Wir sprechen, soweit es geht, keine Machtworte und entscheiden einen Streit. Meist sind wir ja auch bei der Vorgeschichte nicht dabei und könnten das niemals fair machen. Nur weil eines der Kinder schreit und lautstark auf sein Recht pocht, muss es nicht auch recht haben. Stattdessen mediieren wir und bemühen uns, die Kinder selbst zu einer Lösung zu führen.
Disclaimer
Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, dass wir genau wissen, was wir tun und hinter all unserem Handeln ein hochgestecktes Ziel steckt. Wir sind sicherlich keine perfekten Eltern. Was uns hilft, die Punkte, die ich oben genannt habe, einzuhalten sind einerseits die drei Kinder selbst. Viele Dinge sind so einfach am wenigsten Aufwand. Ständig alle Kinder zu bemuttern, jeden Streit zu entscheiden und ein komplexeds Regelwerk nicht nur aufzustellen, sondern auch die Einhaltung zu überwachen, ist technisch garnicht möglich. Wir haben andererseits von anderen auch schon das Feedback bekommen, dass wir unsere Kinder anders behandeln, als andere Eltern.
Schon von klein auf sprechen wir mit ihnen völlig normal. Es gab und gibt bei meinem Mann und mir keine Babysprache. Wir haben Kosenamen für die Kinder, aber schon als Säugling haben wir ihnen gegenüber verbal nichts verniedlicht, oder extrem vereinfacht. Auch heute, wenn sie Fragen stellen, bekommen sie Antworten, die wir auch einem Erwachsenen in diesem Wortlaut geben würden. Wenn nötig erklären wir dann allerdings auch die Erklärung. Natürlich haben unsere Kinder immer wieder schlechte Tage, sind schlecht gelaunt, wollen alleine sein, oder suchen einfach nur Streit. An solchen Tagen kann man auch mit viel Geduld wenig erreichen.
Starke Kinder sind anstrengend
Kinder zu erziehen ist anstrengend. Auch wenn wir versuchen einen möglichst einfachen Weg zu gehen, ist es manchmal sehr anstrengend. Dass unsere Kinder stark sind merkt man, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollen. Anders als bei einem unterwürfigen Hund unterscheiden sie aber nicht zwischen Eltern und beispielsweise anderen Kindern. Das kann durchaus anstrengend sein. Allerdings kann man mit ihnen in den meisten Fällen sehr gut einen Kompromiss schließen. Auch wenn das Leben mit drei kleinen Kindern meistens kein Zuckerschlecken ist, gibt es zumindest einen Punkt, der uns in der Erziehung ganz gut gelungen ist. Unsere Kinder lassen sich nichts gefallen, sind bemüht einen Konsens zu finden und einen Kompromiss zu schließen und haben einen starken Gerechtigkeitssinn. Sie gehen offen auf Fremde und andere Kinder zu und sind an ihrer Umwelt interessiert. Ein paar gute Gründe um immer wieder zufrieden lächelnd und voller Stolz auf der Parkbank zu sitzen und sie auf dem Spielplatz zu beobachten.
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