Die Hebamme, die mich bei der Geburt der Ältesten der drei Kleinen begleitet hat, war wunderbar. Wir lebten damals auf dem Land und die Klinik schloss kurz nach unserer Geburt, die Abteilung. Es war eine familiäre Atmosphäre und meine Tochter, die am 26. des Monats geboren wurde, war laut Anschlagtafel vor dem Kreißsaal das dritte Kind in dem Monat. Es ist, als wäre es gestern gewesen, als die Kleine den ganzen Tag schlief und nur zum Saugen an meiner Brust wach wurde. Auch zu ihren kleineren Geschwistern habe ich lebhafte Erinnerungen. Sie sind durch die Wohnung gekrabbelt, haben Laufen gelernt und sind nach und nach zu kleinen Persönlichkeiten mit einem ganz eigenen Charakter herangewachsen. Ließen sie sich als Kleinkinder noch leicht anleiten und gelang es fast immer, sie als Kleinkinder wieder auf den rechten Weg zu bringen, wird das zunehmend schwierig. In den letzten Tagen und Wochen bin ich immer wieder mit unserer Jüngsten unterwegs. Sie schafft es regelmäßig, mich mit ihren Aussagen zu verblüffen. In der letzten Zeit ist sie stark gewachsen und ihr rundliches, kindliches Gesicht hat fast schon erwachsene Züge. Sehen wir uns Bilder an, die gar nicht so alt sind, ist es immer wieder erschreckend, wie die Kinder sich verändert haben. Aus Babys sind Kleinkinder geworden und auch Kleinkindern Kinder. Ja, sie sind noch klein und sie brauchen noch viel Zeit, um wirklich erwachsen zu sein, aber meine Rolle ist momentan ziemlich im Wandel.
Dicke Luft
Kleinkinder und Babys stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern. Gibt es einmal Streit, dann ist das sehr einseitig. Die Eltern ermahnen das Kind und sind ihm böse. Kleine Kinder tun so etwas nicht. Sie sind nicht nachtragend. Schimpft Mama, oder Papa, dann geht es in erster Linie darum, die Harmonie wieder herzustellen. Also entschuldigt man sich und ist wieder brav. Der grollende Elternteil beruhigt sich dann auch schnell, weil nicht zuletzt das Kindchenschema uns ganz automatisch milder stimmt. Die Zeit ist bei uns vorbei. Die Älteste steuert zielstrebig auf die Pubertät zu. Ihre Gesichtszüge haben sich verändert und ihr Körperbau zieht langsam nach. Ihr Hormonspiegel bereitet uns viel Freude. Zumindest an den Tagen, an denen er auf einem normalen Niveau ist. An etwa zwei Drittel der Tage ist er das nicht. In dieser Zeit zeigt sich ein ungeahnter Dickkopf bei meiner Tochter. Schimpfen funktioniert schon lange nicht mehr. Weist man sie zurecht, wird man umgehend mit einer vollständigen Zusammenfassung der eigenen Fehler versorgt. Dazu kommt eine Aufzählung der Fehler der letzten 11 Jahre. Die kleine Kratzbürste ist nicht nur spitzfindig und eloquent, sondern auch rücksichtslos. Ruht man nicht völlig in seiner Mitte und hatte ausreichend Schlaf, schafft sie es leicht, jemanden zu verletzen. Auch mein Mann, der fast schon stoisch und nach außen recht emotionslos durchs Leben geht, kommt bei ihr an seine Grenzen. Und seine Grenzen sind wirklich nicht leicht auszuloten.
Nachtragende Zwerge
Gibt es etwas zu beanstanden, dann kann man davon ausgehen, dass es in einem Streit endet. Die Kritikfähigkeit der frühpubertären Tochter ist überschaubar. Im Prinzip ist es völlig egal, ob man sie freundlich zurechtweist, sich Zeit nimmt und ihr den eigenen Standpunkt erläutert, oder sie hysterisch niederschreit. Die Reaktion ist immer dieselbe. Eine Schimpftirade, in der sie mit Giftpfeilen um sich schießt und fast immer trifft und ein strategischer Rückzug. Friedensangebote werden abgelehnt und auch wenn man ein wenig später, nachdem sich die Lage vermeintlich beruhigt hat, ein ruhiges klärendes Gespräch versucht, ändert sich ihre Einstellung nicht. Meine Tochter steht auf dem Standpunkt, meinen Mann und mich nicht zu brauchen. Warum also sollte sie einlenken. Es ist unsere Sache, nachzugeben und sich zu entschuldigen. Meistens geht mein Mann, oder ich dann auf sie zu und es gelingt, sie zu überzeugen. Oft ist sie aber über Tage gereizt und es ist kaum möglich, mit ihr zu sprechen. Schlimm genug, dass es die Älteste betrifft, aber auch die beiden kleineren Geschwister beginnen nach und nach so zu agieren. Es kann vorkommen, dass auch die Kleinste sich nicht davon überzeugen lässt, dass sie im Unrecht ist.
Früher war alles anders
Früher war es besser. Zumindest denke ich mir das, wenn ich wieder einmal im Wohnzimmer sitze und darüber nachdenke, ob ich wirklich so bin, wie meine Tochter mich darstellt. Aber das stimmt nicht. Es war weder besser noch einfacher. Die Kinder waren in den ersten Monaten komplett auf mich angewiesen. Eine Aufgabe, die eine gewaltige Last darstellt. Man ist als Mutter, oder Vater ständig für die Sicherheit der Kinder verantwortlich. Was auch immer passiert – Das Kind trifft nie eine Schuld. Steckt es eine Gabel in die Steckdose, sind die Eltern schuld. Sie hätten die Gabel kindersicher verstauen und die Steckdose verschließen müssen. Läuft ein Kind vor ein Auto, dann haben die Eltern die Aufsichtspflicht vernachlässigt. Kleine Kinder bedeuten Stress und wenn man mit drei ähnlich unselbstständigen Zwergen unterwegs ist, dann hat man alle Hände voll zu tun, sie vor Gefahren und Dummheiten zu schützen. Heute muss ich mir nicht mehr überlegen, welche Position am Spielplatz dazu geeignet ist, drei Kinder im Auge zu behalten. Heute kann ich, wenn sie überhaupt noch auf den Spielplatz wollen, sogar mal in die Luft schauen, oder etwas lesen.
Altmutter
Als Jungmutter ist man häufig sehr bemüht. Ich habe nie verstanden, wie man die Zeit finden kann, mit einer Dankeskarte Geburt, oder andere wichtige Ereignisse zu verarbeiten. Meine Geburten waren anstrengend und ich hatte danach viele Dinge im Kopf. Nur keine Dankeskarte. Wir haben, glaube ich, nicht einmal viele Fotos von unseren Kindern gemacht. Wie junge Frauen das hinbekommen, ist mir ein Rätsel. Auch wenn es tolle Angebote dafür gibt, muss man sie nutzen. Nicht einmal das habe ich geschafft. Aber vielleicht bin ich einfach anders, als andere Mütter. Nachdem ich also nicht die Art von Mutter bin, die jeden wichtigen Schritt im Leben der Kinder mit einer selbstgebastelten, oder mit Liebe gestalteten Kleinigkeit feiert, finde ich es eigentlich nicht schlecht, dass die Kinder selbstständiger werden. Ich sehe das bei der Tochter meines Mannes. Sie ist aktuell mit dem zweiten Enkelkind schwanger und kümmert sich um alles selbst. Sie ist eine von diesen Müttern, die sich viele Gedanken macht und viel Zeit in Kleinigkeiten investiert. Beim zweiten Kind merkt man allerdings schon leichte Abstriche. Ich war nie so und werde es wahrscheinlich auch nicht mehr werden.
Selbstständig
Es gibt also zwei Seiten dieser Medaille. Ja, die Kleine kann richtig nerven, wenn sie auf dem Kriegspfad ist. Auf der anderen Seite brauche ich ihr jeden Morgen nur die Türe aufzuhalten und sie geht komplett alleine zur Schule. Sie steigt in die Straßenbahn und fährt selbstständig. Auch die beiden Kleinen bewältigen den Weg zur Schule schon alleine, wenn es nötig ist. Zwar hat die Kleinste noch kein eigenes Handy, aber heuer im Sommer ist es so weit und auch sie kann leicht erreicht werden. Ein Meilenstein in unserer Elternrolle. Mein Mann war im Frühjahr ein paar Tage mit der Kleinsten in Zypern. Er hatte ihr versprochen, mit ihr zu fliegen und hat einen kleinen Strandurlaub in der Nebensaison mit ihr gemacht. Dazu braucht man nicht mehr, als ein Doppelbett in einem Airbnb-Appartment. Früher wäre das undenkbar gewesen. Flaschenwärmer, Gitterbett und Windel hätte man mitnehmen müssen. Heute kann man jedes Kind einfach an der Hand nehmen und losfliegen. Ich denke, dass die Vorteile deutlich überwiegen. Schließlich ist ja auch das Verhalten der Ältesten kein wirklicher Nachteil.
Wehrhaftes Kind
Ist es nicht wunderbar, dass meine Tochter so schlagfertig ist, dass sie mir problemlos die Stirn bieten kann? Mit diesem Mädchen kann man auf keinen Fall machen, was man will. Sie ist selbstbewusst und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Passt ihr etwas nicht, dann sagt sie das auch. Sie hat Zivilcourage und geht, wenn es sein muss, auf Konfrontation. Ja, es ist unangenehm, wenn man von einem kleinen pubertierenden Mädchen zurechtgewiesen wird. Es ist aber auch eine Situation, die mich stolz macht. Es ist uns gelungen, sie zu einem starken Menschen zu erziehen. Ein Mensch, der sich nichts gefallen lässt und der es versteht, sich mit Worten zur Wehr zu setzen. Ja, es macht mich stolz und ja, ich freue mich darauf, dass auch die beiden anderen weiterhin ihren Weg gehen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Kinder nun mal Liebestöter sind. Sobald die Kinder auf eigenen Beinen stehen, werde ich das Leben wieder in vollen Zügen genießen und die Zeit mit meinem Mann verbringen. Es dauert zwar noch ein paar Jahre, bis sie alle wirklich selbstständig sind, aber das Licht am Ende des Tunnels ist doch schon ziemlich nahe.
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