Rücken wir mit unseren drei Kindern aus, dann ist das eine kleine Prozession. Ganz vorne mein Sohn, der zumindest die erste halbe Stunde energiegeladen immer an der Spitze ist. Im Mittelfeld die Älteste, die gerne mit Mama, oder Papa plaudert und die Welt, das Leben und das Universum hinterfragt. Das Schlusslicht bildet die Kleinste, die sich von jedem Kieselstein ablenken lässt und selten in die richtige Richtung geht. Alle drei haben einen effizienten Elternfilter entwickelt.
Koordination und Kommunikation
In der Mitte zwischen drei Kindern befinden sich wahlweise mein Mann, oder ich. Wir gehen oft alleine mit den Kindern spazieren. So kann der andere zu Hause etwas erledigen, oder einfach mal die Beine hochlegen. Ein Spaziergang mit drei Kindern ist durchaus anspruchsvoll. Man muss planen, wer wann im Kinderwagen sitzt und wer gehen darf. Dann kann man entscheiden, einem Kind die Hand zu geben, oder anzuordnen, dass zwei, oder alle drei Kinder sich an den Händen fassen. Wir habe auch noch die Option, dass ein Kind sich am Kinderwagen festhält. Auf dem Weg in den Park sitzen alle drei, oder zumindest zwei, meistens im Kinderwagen. Wir wollen ja die Energie nicht am Bürgersteig verschwenden, sondern möglichst im Grünen. Also werden die Kinder möglichst direkt und möglichst rasch zu einem der umliegenen Grünanlagen geschoben. Gerne gehen wir in den Park rund um das Schloss Belvedere. Dort darf man zwar den Rasen nicht betreten, auf den breiten Schotterwegen haben die Kinder aber genug Auslauf und die Springbrunnen sind immer wieder eine gute Motivation fürs Weitergehen.
Stossmich-Ziehdich
Traditionell betreten wir den Schlosspark durch ein gewaltiges Tor und kurz danach dürfen die Kleinen aus dem Kinderwagen. Die ersten Meter sind ganz einfach. Gemeinsam starten sie los und sind alle vor dem Kinderwagen. Je nach individueller Geschwindigkeit zieht sich das Feld bald auseinander. Mein Sohn läuft wie ein Duracellhase trommelt und verschwindet langsam am Horizont, während die Kleinste gerade versucht einen Stein aus dem Asphalt zu bekommen. Also beginnt das, was jeden Spaziergang prägt. Man nimmt die Hände an den Mund und schreit dem Kleinen nach, zurückzukommen, oder wenigstens zu warten. Dann treibt man die Kleinste an. Oft passiert es auch, dass man sie einfach überholen muss, weil die beiden anderen in einer Situation sind, bei der man gerne in Hechtsprungweite ist. Das führt dazu, dass man zwischen die Kinder kommt und auch bei starker Achsenverschiebung keine Chance hat, alle gleichzeitig zu sehen. Man muss also zumindest einem der Kinder vetrauen.
Chinesen überall
Erschwerend kommt beim Schloss Belvedere der Tourismus hinzu. Ständig stehen soviele Chinesen, Barsilianer, Italiener und alle möglichen anderen Nationalitäten, wie in einem Reisebus passen andächtig lauschend rund um einen Fremdenführer. Oft brauchen sie dabei die gesamte Breite der breiten Kieswege. Irgendwo weit vorne sieht man dan meinen Sohn auf so eine Veranstaltung zulaufen. Da es keine Durchsicht durch 100 chinesische Beine gibt und auch keiner weiss, ob das alles nur nette Leute sind, muss der Kleine gestoppt werden. Also schreit man seinen Namen quer durch den Schlosspark. Das klappt ganz gut. Ein deutlicher Schrei, am besten mit den trichterförmigen Händen am Mund, sorgt für Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich sind mein Mann und ich, beim Schreien nach unseren Kindern, die Stars bei den Vorführungen der Urlaubsvideos in China und dem Rest der Welt. Der Junge stoppt also vor der Kollision mit der Reisegruppe und der Rest des Trosses kann nachrücken.
Alarmfall klappt
In so einem Fall schafft man es, die Aufmerksamkeit der Kinder zu bekommen. Lauthals über ein paarhundert Meter dem Kind nachbrüllen dringt durch den dichtesten Elternfilter. Der ist aber auf jeden Fall online, wenn man mit den Kindern in Hörweite unterwegs ist. Sind die ersten Energiedepots verbrannt rückt das Feld dichter zusammen. Die Großen werden langsamer und die Kleine trottet mit fast unverminderter Geschwindigkeit hinterher. In der Mitte der Kinderwagen mit Papa, oder Mama. Die Belastung für die Halswirbelsäule ist recht groß, muss man doch dauernd 180° überwachen. Dabei bleibt es einfach nicht aus, die Kleinen permanent zu ermahnen. „Lauf mir nicht vor den Kinderwagen“, „Lass Deine Schwester in Ruhe“, „Nicht in den Rasen steigen“, „Langsamer“, „Schneller“, „Warte“, „falsche Richtung, wir gehen dort lang“ und noch hunderte andere Sätze gehören zum Standardrepertoire, das in Form eines elterlichen Monologs permanent vorgetragen wird. Darauf springt der Elternfilter scheinbar an.
Elternfilter an
Es ist ja auch kein Wunder. Jedes meiner Kinder betreffen statistisch nur 33,3% der elterlichen Ermahnungen. Es wäre ja Ressourcenverschwendung ständig zuzuhören. Es reicht ja auch, wenn man nur jedes dritte Wort aufschnappt. Betrifft einen das nicht kann man weitermachen, als wäre nichts. Der Elternfilter, den Geschwisterkinder zuverlässig entwickeln schützt sie vor einer Reizüberflutung, führt aber dazu, dass man gefühlt nicht mehr wahrgenommen wird. Man redet sich also den Mund fusselig, ermahnt und steuert, aber der Nachwuchs tut so, als hätte man nichts gesagt. Auch die Stimme zu erheben bringt nicht mehr Erfolg. Die Statistik greift ja auch hier. Mama könnte ja auch einen der beiden anderen meinen. Also sicherheitshalber mal ignorieren, oder eben mit dem Elternfilter aus der Geräuschkulisse entfernen.
Stress und Heiserkeit
Die Folgen dieses Elternfilters sind Stress, den man erlebt, wenn die drei auseinanderlaufen und keiner reagiert, obwohl man sie namentlich anspricht und früher oder später Heiserkeit. Um den beiden negativen Folgen entgegen zu wirken empfiehlt sich also eine ganz andere Strategie. Man beschränkt sich auf die wirklich wichtigen Ermahnungen. Versucht man das, dann lernt man rasch zwei neue Tatsachen. Erstens greift auch hier der Elternfilter. Warum soll man, nur weil die Frequenz niedriger wird, in der Relation öfter betroffen sein. Zweitens gibt es verdammt viele wichtige Ermahnungen. Man ermahnt ja im echten Leben nicht zum Spaß. Es läuft gerade etwas falsch, oder es läuft eben nicht. Also weist man darauf hin, oder gibt Anweisungen. Schließlich will man das Kind ja oft vor Fehlern und Gefahr schützen. Das gehört ja auch zur elterlichen Pflicht. Es bleibt also keine Alternative und Papa und Mama werden weiterhin ungehört Selbstgespräche im ermahnenden Ton führen, während die drei Kleinen völlig unbeirrt in die falsche Richtung laufen. Etwas Gutes hat es aber: Halb China weiß mittlerweile, wie meine Kinder heißen 😉
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