Es ist nicht ganz unumstritten, wie Sigmund Freud die Entwicklung der Kinder bis zu Pubertät eingeteilt hat. Glaubt man seinen Theorien, dann folgt auf die orale, anale und phallische Phase mit etwa 6 Jahren die Latenzphase. Laut Freud eine Pause in der sexuellen Entwicklung, laut meiner aktuellen Erfahrung eine deutliche Veränderung.
Aus Klein wird Groß
Meine Älteste ist auf halbem Weg zwischen 5 und 6 Jahren. Gestern hatte ich Elternabend in der Kita und einmal mehr ist mir bewußt geworden, dass sie kein Kleinkind mehr ist. Am Elternabend wurde mir eröffnet, welche Voraussetzungen das Kind erfüllen muss, um in Österreich zur Volksschule gehen zu dürfen. Erinnere ich mich an meine Große, die vor etwa 15 Jahren in die Schule gekommen ist, dann kann ich mich nicht erinnern, ähnliche Hürden genommen zu haben. Die Erzieherin hat eine ellenlange Liste mit recht schwierigen Dingen aufgelistet. Was sie davon schon kann ist das Zählen bis 25, ihren Namen schreiben, Farben korrekt benennen und Körperbeherrschung und Gleichgewichtssinn. Was sie noch nicht kann sind Wochentage, Monate, Jahreszeiten, von 10 rückwärts zählen und auf einem Würfel ohne zu zählen erkennen, wieviele Augen oben liegen.
Willkommen in der Leistungsgesellschaft
Vielleicht haben die Erzieherin und die Kindergartenleiterin ja übertrieben, aber die Liste hat es in sich. Gut,meine Älteste ist schlau, wortgewandt und sehr fingerfertig. Sie schreibt ihren Namen schon seit Monaten und fertigt wunderbare Zeichnungen mit korrekten Proportionen an. Nur wenn ich an meinen Sohn denke, bekomme ich Angst. In zwei Jahren ist es für ihn auch soweit und auch wenn er sicher schon bis 10 Zählen kann, sein Gleichgewicht hält und seinen Namen abzeichnen kann, kann man Farben benennen genauso vergessen, wie Wochentage und Monate. Die Begriff gestern und morgen sind ihm, meiner Meinung nach, noch nicht ganz klar und wir haben die Vermutung, dass er komplett farbenblind ist. Testet man ihn, dann kann er die gleichen Farben benennen. Wie sie heißen kann er aber nicht sagen.
Rasante Entwicklung
Unter dem Eindruck dieser langen Liste an Fähigkeiten, die von meinem ältesten Baby verlangt werden, sehe ich sie seit gestern mit anderen Augen. Sie ist eine kleine Dame geworden und auch wenn es in mir ein extrem mulmiges Gefühl auslöst, dass sie sich Tests stellen muss und fremde über sie urteilen, bin ich sicher, dass sie dieser Herausforderung gewachsen ist. Ich kann sie davor weder beschützen, noch kann ich ihr bei zukünftigen Prüfungen helfen. Ein Gefühl, das ich so nicht kannte und das völlig neu ist für mich. Ich spüre einen Druck im Magen, wenn ich mir vorstelle, wie sie hilflos in einer Prüfungssituation ist und sie dem Druck nicht ausweichen kann. Jahrelang war ich für sie da und wenn sie an ihre Grenzen gestoßen ist, bin ich eingesprungen. Jetzt muss sie ihre Grenzen alleine überschreiten.
Kleine Dame
Auf der anderen Seite glaube ich, dass sie soweit ist. Betrachtet man sie und ihr Verhalten, dann wird ganz schnell deutlich, dass sie eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht habe. Sie lässt sich frisieren, achtet auf ihr Äußeres, trägt gerne Kleider und Ihr Spiel hat sich deutlich verändert. Sie ist in jeder Hinsicht reifer geworden, versucht zu helfen, räumt ihr Zimmer selbstständig auf und an ihren Aussagen erkennt man, dass auch ihre Gedanken reif sind. Ist es schon an der Zeit loszulassen?
Latenzphase – Die Ruhe vor dem Sturm
Ich glaube nicht. Jetzt ruht sie in ihrer Mitte. Wenn Freud richtig liegt, dann habe ich jetzt 5 wunderbare Jahre vor mir. Zumindest meine Älteste sollte, bis zum Einsatz der Pubertät jetzt ruhiger werden und sich langsam zum echten Mädchen entwickeln. Die beschriebenen Verhaltensweisen kann ich bei ihr bereits feststellen. In der Latenzphase festigt das Kind das Gelernte, entwickelt sich intelektuell und körperlich weiter und entwickelt Freundschaften und weitreichende Kontakte. Das tut sie. Auch dass sie ihre Freundschaften jetzt mit anderen Mädchen knüpft und vertieft ist typisch für die Latenzphase. Mit der Pubertät wird sich das wahrscheinlich nocheinmal grundlegend ändern.
Freude auf die Pubertät
Ein bisschen merkt man, dass es bereits eine Entwicklung in Richtung Pubertät gibt. Sie ist empfindlicher und sucht Harmonie. Bei Streitigkeiten mit ihrem Bruder ist sie viel emotionaler. Sie steckt mehr ein als früher und reagiert eher mit Weinen, als mit Zurückschlagen, wenn er handgreiflich wird.
die kleine Pubertät
Ich habe gelesen, dass die Kinder in der Latenzphase einerseits starken sozialen Zwängen ausgesetzt sind. Sie müssen sich in der Gruppe der Kinder in Kita, oder Schule integrieren und dürfen dort nicht mehr Kleinkind sein. Zu Hause können sie dann die unterdrückten Bedürfnisse ausleben. So erklärt sich, dass sie weinerlich und einfach kindlicher sind, als vorher. Außerdem machen die Kinder im Alter zwischen 5 und 6 Jahren unglaubliche Fortschritte. Sie entwickeln sich intelektuell und körperlich rasant weiter und müssen damit umgehen lernen.
Herausforderung für Mama
Allerdings ist die rasante Entwicklung auch eine Herausforderung für Mutter und Vater. Gerade noch ein süßes kleines Mädchen, das man morgens angekleidet hat und das auf der Straße im Kinderwagen saß, oder an der Hand lief wird ein kleine Dame. Wäsche wählt sie selbst nach klaren Kriterien aus und auch wenn sie artig an der Hand geht, ist es nicht mehr nötig sie zu leiten. Sie geht ihren Weg alleine. Ein erstes kleines Loslassen. Es tut sehr weh, macht aber auch unendlich stolz.
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