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Schulstress

Es kommt vor, dass meine Jüngste Montagmorgen plötzlich eine ganze Palette an Krankheiten bekommt. Es startet mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und vielen anderen Körperregionen, die schmerzen. Sie weint, sie schreit, sie steht beharrlich auf dem Standpunkt, krankheitsbedingt nicht schulfähig zu sein. Ich bin eine sehr bemühte Mutter, aber nicht immer tue ich das Richtige. Also habe ich die ersten Male immer wieder nachgegeben und akzeptiert, dass sie krank ist und daheim bleibt. Meist sind die Beschwerden unmittelbar nach 8h verschwunden und die Kleine hatte einen wunderbaren Tag. Ich nicht unbedingt. Einerseits habe ich beobachtet, dass es ihr offensichtlich doch nicht so schlecht geht, wie ich annahm, was schlechtes Gewissen ausgelöst hat. Außerdem ergibt sich aus der Situation, dass ich ihr auch verbiete, Nachmittags aus dem Haus zu gehen. Wer nicht zur Schule kann, kann ja auch nicht im Hof spielen. Zumal eine Lehrerin aus ihrer Schule bei uns im Haus wohnt und sie, genauso wie einige Mitschülerinnen sie sehen könnte. Dienstag ist die Lage dann meistens besser und mit vereinten Kräften schaffen mein Mann und ich sie zur Schule. Kaum ist sie dort, ist alles in Ordnung und den Rest der Woche geht sie gerne und motiviert zum Unterricht. Woran kann das liegen?

Noten und Druck

In der Schule gibt es eine gewisse Erwartungshaltung. Die eigene Leistung wird vergleichbar und transparent. Das ist, abseits der Bildungseinrichtungen, nirgendwo sonst so im Leben. Nur in Prüfungssituationen wird man objektiv beurteilt. Im beruflichen Alltag wird man natürlich auch bewertet, aber es gibt keine Skala, anhand der man eingeordnet wird. In der Schule ist das anders. Hier bekommt man gute, oder schlechte Noten und am Ende des Schuljahrs gibt es ein Dokument, auf dem diese Noten vermerkt sind. Das erzeugt bei ehrgeizigen Kindern, oder Kindern von ehrgeizigen Eltern, durchaus Stress. Auf uns trifft beides nicht zu. Weder unsere Kinder definieren sich über ihre Noten, noch werden sie von uns Eltern in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt. Sie bringen ganz unterschiedliche schulische Leistungen, aber solange sie positiv sind, sind mein Mann und ich entspannt. Mehr erwarten wir nicht. Es gibt allerdings eine Sache, die ich doch kritisiere. Speziell mit meinem Sohn habe ich oft Auseinandersetzungen dazu, dass er sich auf eine Prüfung, oder eine Arbeit vorbereiten sollte. Er behauptet dann meistens, dass er ohnehin alles schon weiß und nicht üben muss. Bringt er dann eine schlechte Note, dann ärgert mich das. Nicht, weil er den Stoff nicht beherrscht hat, sondern weil er mit wenig Aufwand sicher eine bessere Note geschafft hätte, die seinen Fähigkeiten mehr entsprochen hätte.

Belastung

Ich verbringe viel Zeit damit, mit meinen Kindern die Hausübungen zu machen. Ich habe also Gelegenheit, den Stoff aus mehreren unterschiedlichen Schulstufen Tag für Tag durchzukauen. Besonders bei neuen Kapiteln merke ich, dass meine Kinder zu wenig Zeit haben, den Stoff zu verstehen. Auch die Älteste, die sehr gut in der Schule ist, sitzt gerne vor ihrer Arbeit und ist den Tränen nahe, weil sie die Aufgabe nicht versteht. Dabei wird klar, dass sie nicht mit jeder Lehrmethode gleich gut zurechtkommt. Lehrer, die nicht auf Frontalunterricht setzen, sondern ihre Stunde mehr als freies Lernen gestalten und ihre Hilfe anbieten, während sie durch die Klasse spazieren und die Kinder arbeiten, dringen zu meiner Tochter weit schlechter durch, als die, die ganz klassisch unterrichten. Ich will nicht bewerten, was besser und was schlechter wäre, was aber auffällt ist, dass es scheinbar massive Unterschiede zwischen dem Ergebnis der verschiedenen Varianten gibt. Zumindest bei meiner Tochter zeigt sich das ganz deutlich.

Lehrer Schüler

Man kann nicht einmal behaupten, dass engagierte LehrerInnen einen Vorteil bringen. Schließlich bringen eben diese Lehrerinnen und Lehrer neue Konzepte. Konzepte, die zumindest bei meiner Tochter nicht zum gewünschten Erfolg führen. Insgesamt kann man aber sagen, dass die Art und Weise, wie der Stoff unterrichtet wird, einen gravierenden Unterschied macht. Schafft es der Lehrer, die Kinder für den Stoff zu begeistern, dann reicht das oft aus, um ihnen das Verstehen zu erleichtern. Die Lehrmethode ist aber am Ende des Schuljahrs zweitrangig. Die Kinder müssen das, was der Lehrplan vorsieht, verstanden haben und umsetzen können. Es bleibt also auch bei der freundlichsten und coolsten Lehrkraft am Ende eine Note. Eine Note, die im Zeugnis aufscheint und eine Aussage darüber trifft, wie gut ein Kind den Stoff aufnehmen konnte. Erreicht wird das durch Prüfungssituationen und da gibt es ganz unterschiedliche Strategien, wie Kinder damit umgehen.

Schule und die Psyche

Was die Schule und der Druck, der damit zusammenhängt, mit den Kindern macht, lässt sich schwer abschätzen. Das Verhalten meiner Jüngsten kann ein Zeichen dafür sein, dass sie der Schulbesuch psychisch belastet und sie psychosomatische Beschwerden entwickelt, um der Schule zu entgehen. Dagegen spricht aber, dass sie dann, wenn sie einmal wieder im Rhythmus ist, voller Freude und motiviert zur Schule geht. Meine beiden anderen haben hier keine wirklichen Probleme. Mein Sohn ist der erste, der freiwillig und viel zu früh zur Schule fährt. Er genießt die Zeit vor Schulbeginn und trifft seine Freunde, um vor der Schule zu warten und sich zu unterhalten. Die Älteste trifft sich auch gerne mit ihren Freundinnen vor dem Schulgebäude und ist pflichtbewusst und motiviert. Sie bringt gute Noten, allerdings merkt man auch bei ihr, dass der Schulalltag sie beschäftigt. Es sind aber bei ihr nicht die Noten, die sie belasten.

Soziales Umfeld

Die Älteste meiner drei Kleinen wird bald 13. Das bedeutet, dass sie und die anderen Schülerinnen und Schüler in ihrer Klasse gerade in einer Phase der Veränderung sind. Am Beginn der Pubertät verändert sich der Körper, aber auch die psychische Entwicklung schreitet voran. Es gibt im Grunde jeden Tag aufregende Situationen. Situationen, die meine Älteste massiv belasten. Freundinnen streiten, bekommen etwas in den falschen Hals, oder wählen die falsche Betonung. Ein Klassenkamerad macht eine Bemerkung, oder unterhält sich über etwas, das sie auf sich bezieht. Die Zeit in der Schule ist für sie stark belastend. Während sie mit dem Stoff in den meisten Fällen kein Problem hat, ist das soziale Gefüge der Klassengemeinschaft für sie eine Herausforderung. Werden Fragen in die Klassengruppe nicht, oder nicht wie erwartet beantwortet, wählt jemand die falschen Worte, den falschen Adressaten, oder zeigt die falsche Körpersprache, dann löst das Dramen aus. Dramen, die meine Tochter beschäftigen und die sie mühsam aufarbeitet.

Doppelbelastung

Die Zeit in der Schule bedeutet für Kinder in diesem Alter also eine klare Doppelbelastung. Eine Gruppe Jugendlicher in einer fordernden Zeit formiert sich neu und lernt, mit der Veränderung umzugehen, während versucht wird, ihnen Unmengen an Lehrstoff in die Köpfe zu pressen. Das ist eine unglaubliche Belastung. Meine Tochter hatte bisher noch keine Probleme in der Schule und hat immer hervorragende Noten gehabt. Jetzt merkt man einen deutlichen Abfall. Sie kann nicht immer so locker Schritt halten, wie bisher. Das Lernen kostet sie plötzlich Kraft. Kraft, die sie schon für die Auseinandersetzung mit sich, ihrer Veränderung und der Neuordnung der Gruppe verbraucht. Je länger ich das beobachte, umso mehr stelle ich infrage, ob es eine gute Idee ist, Schule so zu gestalten, wie sie bei uns gestaltet ist. Sieht man sich das norwegische Schulsystem an, dann fällt auf, dass die Grundschule dort die ersten 7 Jahre umfasst. Statt die Kinder mit 10 Jahren zu versetzen, passiert das in Norwegen, das für den Erfolg seines Schulsystems berühmt ist, erst 3 Jahre später. So wird den Kindern erspart, in der ersten Zeit der Pubertät sich auch noch in einer relativ neuen Gruppe zurechtzufinden.

Psychische Belastung

Tatsächlich ist es weit verbreitet, dass Kinder heute in psychologischer Behandlung sind. Das gilt auch für meine Kinder, die aus verschiedenen Gründen psychologisch unterstützt werden. Ich kann das ruhigen Gewissens allen Eltern wärmstens empfehlen. Allerdings muss man die richtige Therapeutin, oder den richtigen Therapeuten finden. Passt die Chemie, dann profitieren die Kinder sehr von der Möglichkeit, mit einem Dritten über die Dinge zu sprechen, die sie bewegen. Hört man sich ein wenig um, dann gibt es kaum Eltern, die das für ihre Kinder noch nicht in Erwägung gezogen hätten. Versucht man einen Therapieplatz zu bekommen, dann lernt man schnell, dass das Angebot viel zu klein für die überwältigende Nachfrage ist. Ich halte es für wichtig, psychische Probleme genauso ernstzunehmen, wie körperliche Erkrankungen. So wie ich einen Schnupfen, oder eine Platzwunde behandeln lasse, so lasse ich ganz selbstverständlich auch die Psyche meiner Kinder behandeln. Das Angebot, dass jemand, der sich intensiv mit der menschlichen Psyche auseinandergesetzt hat, zuhört und hilft, Dinge anders zu sehen und anders zu bewerten, ist großartig. Schon alleine wegen der persönlichen Betroffenheit ist es für Eltern viel schwieriger, hier einen vergleichbaren Draht zu den Kindern zu bekommen.

Eltern und Schule

Es liegt in der Natur vieler Eltern, den Kindern möglichst alle Schwierigkeiten abzunehmen und Dinge für sie zu erledigen. Das funktioniert im Laufe der Schullaufbahn immer weniger. Während ich in den ersten Jahren noch live dabei bin, wenn Buchstabe für Buchstabe gelernt wird und die Zahlenräume wachsen, werde ich nach ein paar Jahren Schule, nur noch in Härtefällen hinzugezogen. Viel mehr, als auf meinen Mann zu verweisen, kann ich bei den wirklichen Problemen aber meistens nicht. Die Erlebnisse in der Schule, die vielen unterschiedlichen Fächer und wechselnde Schwerpunkte sind auch kaum nachzuvollziehen, wenn man erst am späten Nachmittag davon erfährt. Versucht man als Elternteil sich in der Schule einzubringen und in direkten Kontakt mit den Lehrern zu treten, dann lernt man schnell, dass das nicht gern gesehen wird. Kooperation wird gerne gesehen, aber das, was zwischen Lehrer und Kind passiert, geht die Eltern nichts an. Hier wird von der Schule klar erwartet, dass das Kind selbst Verantwortung übernimmt. Ich bin zum Glück keine Helikoptermutter, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das für den Typ Mutter, der alle Lebensbereiche der Kinder kontrollieren will, nicht einfach ist. Allerdings ist es auch genau der richtige Weg. Die Kinder müssen Leistung zeigen und Verantwortung übernehmen. Eltern haben hier nur den Auftrag, ihnen das zu ermöglichen.

Schulallergie

Bei meiner Kleinsten kann ich eine generelle Schulangst ausschließen. Sie geht – ausgenommen Montags – dermaßen freudig zur Schule, dass ganz klar ist, wie gerne sie dort ist. Sie hat eine tolle Beziehung zu ihrer Lehrerin. Es handelt sich bei Ihr offensichtlich um eine klassische Schulallergie, die eben nach einem Wochenende auftritt. Meine Strategie, mit ihr immer dann, wenn sie nicht zur Schule gehen „konnte“, zur Kinderärztin zu gehen, kann ich übrigens nicht empfehlen. Zwar habe ich für alle Fehltage eine ärztliche Entschuldigung, aber klassische Schulmediziner haben einen klaren Trend dazu, Krankheiten sehr ernst zu nehmen. So geht man meistens mit einer Krankschreibung für mindestens drei Tage nach Hause. Mein Sohn ist das beste Beispiel dafür, dass eine funktionierende Klassengemeinschaft viel verändern kann. Er wartet jeden Tag freiwillig mindestens 15 Minuten vor der Schule, bevor sie öffnet und trifft sich mit seinen Freunden. Insgesamt hat er in diesem Schuljahr bisher 2 Tage versäumt. Beide Male war er im Spital. Tageskrankenstände hat er nie. Allerdings werden die schulischen Belastungen stärker und auch meinem Sohn steht in den nächsten Jahren die Pubertät bevor. Zwar wird er als Junge wahrscheinlich nicht so stark von sozialen Veränderungen betroffen sein, aber spurlos wird die Zeit auch an ihm nicht vorüber gehen. Meine Älteste ist mitten drin in den sozialen Herausforderungen. In einer Zeit, in der sie sehr feinfühlig für Stimmungen ist, verbringt sie den ganzen Tag mit verstimmten Jugendlichen, die genauso empfindlich sind.

Hilfreich, oder hilflos

Mir als Mutter bleibt nichts anderes übrig, als mein Bestes zu geben und zu versuchen, auf meine Kinder einzugehen. Die Belastung ist auf jeden Fall enorm. Einerseits der Druck, der auch wenn es den Eltern gleichgültig ist, mit den Noten entsteht. Andererseits das komplexe System der Klassengemeinschaft, das sich mit der Entwicklung der Kinder immer weiter entwickelt und sich ständig verändert. So viele Individuen sorgen für komplexe Beziehungsstrukturen und ständig wandelnde Verbindungen. Es ist nicht leicht in so einem Umfeld stabil zu bleiben und sich auf den Lernstoff zu konzentrieren. Die Zeit in der Schule ist, speziell in der Pubertät, eine starke Belastung für die Kinder. Aus meiner Sicht ist es auch nicht unbedingt eine Vorbereitung auf das Leben. Die Besonderheiten, wie eben das Benotungssystem, aber auch die viele Zeit, die man etwa in den Pausen, aber auch auf Klassenfahrten, oder Freistunden gemeinsam verbringt, sind einzigartig. Auch wenn es in manchen Unternehmen vergleichbare Gruppen gibt, wird man so etwas, wie die Klassengemeinschaft, nie wieder erleben. Auch die Lehrer, mit denen man Tag für Tag konfrontiert ist, sind etwas ganz besonderes. In dieser Zeit brauchen die Kinder Sicherheit und Unterstützung. Schnell kann es zu viel werden, wenn auch daheim Druck aufgebaut wird und fordernde Situationen entstehen. Meine Aufgabe ist es also, wie ein Fels in der Brandung, für einen geregelten und ruhigen Alltag zu sorgen. Daheim muss Geborgenheit und Stabilität geboten werden, damit die Kinder dort die Kraft schöpfen können, den nächsten Schultag zu überstehen und trotz allem die erwartete Leistung zu bringen.

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