Es gibt Menschen, die völlig entspannt und ohne sichtbare Abhängigkeit von ihrem Handy leben können. Das schlaue Telefon liegt irgendwo in einer Schublade, oder auf der Kommode und kommt nur dann zum Einsatz, wenn die ureigenste Funktion des Smartphones, nämlich das Telefonieren, gefragt ist. Und dann gibt es Menschen, die nicht in einer Jurte im Wald leben und ihre Kleidung selbst herstellen. Menschen, wie Du und ich, die Medien kennen und nutzen. Und Medien gibt es im 21. Jahrhundert einige. Neben sozialen Netzwerken gibt es Streamingdienste und Plattformen. Dazu kommen verschiedene Spiele und schließlich die unendlichen Weiten des Internets. Egal, welches Thema – Es gibt Experten und solche, die sich dafür halten, die gerne ihr umfassendes Wissen in Texten und Videos teilen. Mediennutzung ist eine normale Sache. So wie Autofahren, oder Einkaufen. Man macht es einfach. Mal anlassbezogen, weil man eine Information braucht, mal aus Langeweile und immer öfter, weil das Smartphone uns etwas zeigt, das wir gar nicht gesucht haben. Man kann Mediennutzung ganz unterschiedlich sehen. So sind manche Menschen entspannt und völlig offen und surfen und blättern immer dann, wenn es gerade passt. Andere verteufeln Medien pauschal und versuchen sie zu boykottieren. Die gesunde Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Aber wo genau liegt diese Mitte bei der Mediennutzung?
Bad Moms
Ich oute mich hiermit gleich einmal als schlechte Mutter! Es gibt Tage, da kommt es vor, dass meine Kinder ein paar Stunden mit Smartphone, Kindle Fire und dem Fernseher verbringen. Es ist natürlich nicht der Regelfall, aber diese kleinen elektronischen Babysitter sind unglaublich effektiv. Man braucht nicht mal einen bösen Vorsatz. Es reicht, wenn man die Handys austeilt und den Kindern verkündet, dass sie die nächsten 30 Minuten Medien nutzen dürfen. Man stelle sich dazu eine entspannte Situation, beispielsweise nach dem Mittagsessen an einem heißen Sommertag vor. Draußen brütende Hitze, in der Wohnung ein klein wenig kühlere Luft. Nach einem fordernden Vormittag und einem Essen, das rechtzeitig am Tisch stand, ist jetzt alles abgeräumt und es gibt ein großzügiges Zeitfenster, ohne nennenswerte Programmpunkte. Die Kinder erhalten also Elektronik und auch ich greife zum Smartphone. Schon bin ich in einem Sog aus Nachrichten, Tweets, Posts und ein paar bunter Kugeln.
E=mc²
Wer sie noch nicht kennt, dem möchte ich an dieser Stelle die spezielle Relativitätstheorie vorstellen. Abgesehen davon, dass man ziemlich schlau sein muss, um sie komplett zu verstehen, gibt es ein paar Eckpunkte, die auch im Alltag relevant sind. So behauptet Einstein, dass Zeit relativ ist. Je schneller man unterwegs ist, umso schneller vergeht die Zeit. Allerdings nur für alle anderen. Man selbst merkt es nicht. Beobachtet man aber jemand, der mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist, dann ist er in der Länge zusammengestaucht und altert viel langsamer als wir. Zwar ist Lichtgeschwindigkeit grundsätzlich nicht erreichbar, es reicht aber schon aus, mit einem Flugzeug unterwegs zu sein, um die Zeit messbar zu verändern. Eine Uhr in einem schnell fliegenden Flugzeug läuft langsamer als eine Uhr, die nicht bewegt wird. So schlau Albert Einstein auch gewesen sein mag, er hat einen Aspekt in seiner Relativitätstheorie nicht berücksichtigt. Zwar kann man ihm zugutehalten, dass es 1915, als er die Relativitätstheorie veröffentlichte, noch keine Smartphones gab, trotzdem hätte er es ahnen können. Seit es die kleinen schlauen Geräte gibt, erleben wir, oder wenigstens ich, die Relativität der Zeit laufend am eigenen Leib.
Smartphonedilatation
Ich darf also Albert in diesem Punkt ergänzen. Geschwindigkeit ist nicht der einzige Faktor ist, der Zeit manipuliert. Es sind auch die verdammten Smartphones. Man schaut für 5 Minuten, was es Neues gibt und es sind zumindest 30 Minuten vergangen, wenn man wieder aufblickt. Hat man etwas Zeit und möchte 30 Minuten Medien konsumieren, dann sollte man sich wenigstens den halben Tag nichts anderes mehr vornehmen. Die 4 Stunden wird es für alle Beobachter nämlich mindestens dauern, wenn man eine halbe Stunde am Handy verbringt. Also bin ich mitunter ein Opfer der Smartphonedilatation. Sind die, mit den Kindern vereinbarten 30 Minuten für den Rest der Welt schon abgelaufen, habe ich in meiner ganz eigenen Zeitdimension mein Telefon gerade erst entsperrt. Ein Dilemma, das zumindest ein wenig entlastend und zu meinen Gunsten wirken könnte und das rechtfertigt, warum es vorkommen kann, dass ich erst nach ein paar Stunden den Medienkonsum der Kinder beende. Dabei kenne ich die Faustregel sehr gut.
Mediennutzung
Experten empfehlen, dass Kinder pro Tag und Lebensalter in Jahren nicht mehr als 5 Minuten Medienkonsum genehmigt bekommen. Mit 10 Jahren darf ein Kind also pro Tag 50 Minuten fernsehen, oder surfen. Mit 6 Jahren sind es nur 30 Minuten täglich. Tendenziell dürfen meine Kinder etwas mehr Medien konsumieren, als andere. Auch wenn ich kein Fall von Online- und Mediensucht bin, stehen mein Mann und ich Medien sehr offen gegenüber. Ich bin fest davon überzeugt, dass es unerlässlich für Kinder ist, selbstverständlich mit Medien umzugehen. Medienkompetenz ist heute wohl einer der wichtigsten Skills, die man im Leben braucht. Früher kamen Nachrichten aus dem Radio. Eine seriöse Redaktion hat die Informationen erhalten, geprüft und zu einem ordentlichen Beitrag, den ein professioneller Sprecher verlesen hat, aufgearbeitet. Heute ist das alles etwas komplizierter. Grundsätzlich kann jeder, egal welche Qualifikation und auch welche Motivation man hat, Informationen erzeugen. Ob also das, was man im Internet zu lesen bekommt, oder was in einer professionell anmutenden Dokumentation auf Youtube als Fakt präsentiert wird, tatsächlich stimmt, muss man im Kontext sehen.
Meine Bubble, Deine Bubble
Wenn ich im Blog einer großen Versicherung etwas über Unfallstatistiken lese, dann könnte da ein gewisses Verkaufsinteresse im Spiel sein. Erklärt mir ein Händler für FFP2-Masken, wie dramatisch die gerade entstehende x-te Corona-Welle sein wird, stecken wohl auch Eigeninteressen dahinter. Es gibt also Informationen im Netz, die unseriös sind. Die Fakten sind falsch, aus dem Zusammenhang gerissen, unvollständig, falsch interpretiert, oder sogar frei erfunden. Geht man davon aus, dass all die Informationen mit seriösem Journalismus gleichzusetzen ist und glaubt blauäugig alles, was so geschrieben und gestreamt wird, dann hat das massive Nachteile. Dazu kommen Algorithmen, die dafür sorgen, dass man in der eigenen Meinung ständig bestätigt wird und nur das liest, was die bestehende Meinung bestätigt. Facebook kennt genau die persönlichen Vorlieben und stellt eine passende Timeline zusammen. Bei Twitter sieht man die Dinge, die von Accounts verfasst wurden, denen man folgt. Allerdings sieht man auch das, wo diese Accounts gelikt, oder kommentiert haben. Sogar eine Erwähnung reicht aus. So, oder so ähnlich arbeiten alle Plattformen. Jeder bekommt maßgeschneiderten Content. Das muss nicht nur bewusst sein, man muss auch gezielt gegensteuern.
Denkmusterverstärkung
Überlässt man die Auswahl den Plattformen, dann rutscht man immer weiter in eine Ecke. Wer glaubt, die Erde sein flach, wird Informationen zu dem Thema suchen. Nach ein paar Suchanfragen lernt die Plattform, dass man sich für diese Verschwörungstheorie interessiert. Weil man die Beiträge liest, also viel Zeit auf der Plattform verbringt, wertet der Algorithmus das als Erfolg. Daran will er anknüpfen. Also gibt es ab sofort Tonnen von Information zur Flacherde. Man erhält Vorschläge dafür, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und interagiert man mit Informationen, teilt sie also, kommentiert und likt, dann sind das neue Signale dafür, dass der Algorithmus alles richtig gemacht hat. Über kurz oder lang wird man nur noch Content über die flache Erde sehen. Zwischendurch kommen evtl. verwandte Themen, wie die hohle Erde, Chemtrails, oder Präastronautik, aber auch der Sackgasse des Denkens kommt man nur schwer wieder heraus.
Wissen ist schön
Verstärkt werden solche Sackgassen dadurch, dass man sich als Mensch besser fühlt, wenn man glaubt etwas zu wissen, was nur ein kleiner Kreis an Eingeweihten erkannt hat. Man fühlt sich, als ob man zur Elite gehört. Speziell kompletter Schwachsinn, wie eben die flache Erde, sind da recht dankbare Themen. Wer von uns kann das Gegenteil beweisen? Aber auch weniger radikale Ideen lassen sich einfach innerhalb einer solchen Community verteilen. Außerdem werden viele gefährliche Informationen und auch kriminelle Aktivitäten als seriöse Berichte getarnt. Mein Ziel ist es, dass meine Kinder den Umgang mit solchen Formaten beherrschen. Ich setze mich zu ihnen und gebe ihnen Hintergrundinformationen zu den Influencern, die sie als Zielgruppe ansprechen. Sie müssen verstehen, dass es um Likes, Kommentare und Abos geht und sie müssen das Geschäftsmodell dahinter kenne. Nur so können sie das, was gesagt und gezeigt wird, auch richtig einordnen. Noch sind sie zu klein, aber sie werden von mir auch lernen, wie man das Impressum prüft und Informationen gegencheckt, bevor man sie bewertet.
Medienkompetenz
Der kompetente Umgang mit der Flut an Informationen, die ständig auf uns hereinprasselt, ist wichtig. Genauso wichtig ist es, die Funktionsweise moderner Geräte zu verstehen. Wie verbinden sich Smartphone und Tablet mit dem Internet und woher kommen diese Informationen? Fragen, auf die meine Kinder die Antworten kennen sollen. Allerdings gibt es unglaublich viele und unglaublich gute Argumente, die gegen einen übermäßigen Medienkonsum sprechen. Speziell sehr kleine Kinder können mit den 2-dimensionalen Bildern nichts anfangen. Man verschwendet viel Lernpotential, wenn man dem Kind ein Video von Bauklötzen zeigt, statt ihm Bauklötze zur Verfügung zu stellen. Medienkonsum hat eine Vielzahl an körperlichen Folgen. Augen und Bewegungsapparat leiden, wenn man stundenlang bewegungslos vor einem Bildschirm sitzt. Soziale Kontakte nehmen ab und andere Aktivitäten bleiben auf der Strecke. Bei meinen Kindern beobachte ich, dass sie deutlich aggressiver werden, wenn sie zu lange online waren. Trotzdem möchte ich Ihnen den Medienkonsum auf keinen Fall komplett verbieten. Meine Strategie ist es daher, die Kinder so gut es geht zu begleiten und ihnen die Dinge, auf die sie stoßen, zu erklären. Außerdem bemühe ich mich die 5 Minuten pro Lebensjahr einzuhalten und die Zeit, die sie online verbringen unter 1 Stunde pro Tag zu halten. Ich denke, dass ich Ihnen damit wichtige Fähigkeiten mit auf den Lebensweg gebe.
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