Das Schlagwort der Work-Life Balance scheint in aller Munde. Gemeint ist damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Zeit, die man mit Erwerbstätigkeit verbringt und der Zeit, die man mit der Familie, oder dem Privatleben verbringt. Was aber macht man als Hausfrau und Mutter, wenn die Grenzen mehr als verschwommen sind und Work und Life in der gängigen Definition quasi dasselbe sind? Ein Phänomen, das momentan mein Mann genauso zu spüren bekommt, wie Tausende andere, die plötzlich überwiegend im Homeoffice arbeiten. Die Lebensbereiche sind nicht mehr räumlich getrennt. Direkt neben dem Bett, oder dem Mittagstisch steht der Arbeitsplatz. Die Zeit für An- und Abreise zum Arbeitsplatz fallen zwar weg, aber damit auch ein wenig Vor- und Nachbereitungszeit. Die Homework Life Balance ist nicht einfach umzusetzen, wie es auf den ersten Blick scheint.
Kinderalltag
Mein Alltag dreht sich im Prinzip um Kinder und Haushalt. Morgens wird das Pausenbrot und das Frühstück zu bereitet. Alle bekommen die Kleidung für den Tag und die letzten Handgriffe an den Schultaschen werden gemacht. Dann kommt der Moment, an dem alle das Haus verlassen. Mein Mann fährt ins Büro und nimmt die Kleinen mit in Kita uns Schule. Ich habe ein paar Stunden Zeit, mich allein um meine Arbeit zu kümmern und kann mich auch mal kurz entspannen. Es wird eingekauft, das Mittagessen vorbereitet und Hausarbeiten werden erledigt. Mittags hole ich die Kinder von der Schule, oder sie kommen alleine heim. Dann Mittagessen, Hausübungen und gemeinsames chillen, bis mein Mann wieder heimkommt. Zwischendurch wird die Kleinste von der Kita geholt und am späteren Nachmittag geht mein Mann mit den Kindern noch eine Runde auf den Spielplatz, oder in den Park. Wieder habe ich etwas Zeit für mich.
Coronaalltag
Das hat sich allerdings, wegen der Pandemie ziemlich stark verändert. Die Kinder blieben monatelang daheim, eine Zeitlang durften wir alle nicht raus und mein Mann fährt schon seit mehr als einem Jahr nur mehr sehr selten ins Büro. Mein neuer Alltag sieht aktuell eigentlich keine Phasen vor, in denen ich alleine bin. Also die Qualitytime, in der ich nicht für irgendetwas zuständig bin. Genauso ist das auch bei meinem Mann. Die entspannenden Autofahrten gehen ihm ab und die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmt auch in seinem Alltag zunehmend. Er ist es schon immer gewohnt, seine Mais eigentlich 24 Stunden pro Tag zu lesen, aber dass es überhaupt keine Differenzierung zwischen daheim und im Büro gibt, macht es auch für ihn nicht leicht.
Heimarbeit
Ein Problem, das wahrscheinlich alle trifft, die daheim arbeiten. Man muss schon ziemlich konsequent sein. Während die Kinder in der Schule sind läuft im Wohnzimmer der Fernseher. Holt mein Mann, der im Schlafzimmer seinen Arbeitsplatz eingerichtet hat, Kaffee, dann kann es passieren, dass er sich kurz zu mir setzt und sich für ein paar Minuten einen Beitrag ansieht. Auch dass er mit mir eine Tasse Kaffee am Balkon trinkt, kommt vor. Für ihn ist das so ähnlich, wie die Kaffeepausen im Büro und statt mit seinen Kollegen plaudert er jetzt eben mit mir. Man muss allerdings konsequent sein und darf es natürlich nicht übertreiben.
Qualitätszeit
Allerdings brauche ich diese Zeit für mich. Es ist ja ganz nett hin uns wieder mit meinem Mann zu sprechen und er ruft auch vom Büro aus hin uns wieder mal an, aber das sind eben nur kurze Momente. Jetzt habe ich ihn ständig an der Backe. Wäre nett, wenn wir in Urlaub wären, aber tatsächlich treibt sich mein Mann plötzlich den ganzen Tag an meinem Arbeitplatz herum. Das hat zumindest das Potential irgenwie zu nerven. Würde die Pandemie mich zwingen, den ganzen Tag vor seinem Büro zu sitzen wäre ihm das vielleicht auch nicht recht. Bei aller Liebe tun ein wenig Abstand und getrennte Lebensbereiche durchaus gut.
Homework Life Balance
Aber auch wenn mal nicht gerade eine Seuche die Menschheit in Atem hält, habe ich es schwieriger als andere, meine Arbeit von meiner Freizeit zu trennen. Ich habe kein Büro. Die Couch auf der ich Vormittags, wenn die Kleinen in der Schule sind und Nachmittags, wenn sie mit meinem Mann draußen sind, ist Teil meines Aufgabengebiets. Ich muss Krümel entfernen, die Kissen gerade richten und sonstige Überreste des Alltags davon entfernen. Es gibt keinen Bereich, in den ich mich zurückziehen kann. Im Normalbetrieb, der ja hoffentlich bald wieder einsetzen wird, wird mein Mann morgens aus dem Haus gehen. Er findet saubere Wäsche im Schrank und duscht in einem sauberen Bad. Dann verbringt er Zeit in einer arbeitsfreundlichen und ergonomischen Umgebung voller Gleichgesinnter. Abends kommt er heim, bekommt sein Abendessen und schaltet um auf Vater. Er kann dann quasi seinen Job räumlich und emotional hinter sich lassen.
Rückzugsort
Für ihn ist die Wohnung der sichere Hafen. Er kann alles, was ihn belastet und die Probleme, zumindets räumlich im Büro lassen. Daheim hat er dann andere Dinge im Kopf und wird nicht ständig daran erinnert, was er noch zu tun hat. Bei mir ist das schon immer ganz anders. Auch wenn ich entspannt auf der Couch liege und mir zum zweiten Mal die Beiträge im Frühstücksfernsehen ansehe, kann es passieren, dass ich plötzlich aufspringe. Fällt mir eine Staubschicht, oder ein kindlicher Handabdruck am Spiegelschrank, oder der Balkontüre auf, rücke ich aus, um den Mißstand zu beseitigen. So etwas passiert eben dann, wenn man an seinem Arbeitsplatz entspannen will. Was mir fehlt ist ein echter Rückzugsort. Ein Bereich, in dem ich mich hängen lassen kann. So etwas, wie eine Hängematte – der persönliche Wohlfühlort an dem ich wenig von der Umgebung mitbekomme und einfach mal ein wenig rumliege.
Sommerzeit
Grundsätzlich haben wir dafür genug Platz. Wir haben zwei Balkone und nutzen in erster Linie nur einen davon. Der hintere Balkon, der von den Kinderzimmern und dem Schlafzimmer aus erreichbar ist, ist fast leer. Hier könnte ich problemlos eine Hängematte mit Gestell aufstellen. Ein kleines Tischchen mit einem Getränk und etwas zu Knabbern daneben und vielleicht ein gutes Buch, oder einfach ein wenig bunte Kugeln auf dem Handy sortieren. Die Idee klingt auf jeden Fall verlockend, lässt sich aber wohl nur im Sommer umsetzen. Wahrscheinlich kann man auch in der Winterjacke in der Hängematte baumeln, aber der Erholungsfaktor ist sicherlich geringer. Aber der Ansatz an sich gefällt mir sehr gut. Ich brauche eine Lebensbereich, in den ich mich zurückziehen kann und in dem ich nicht die Rolle der Mutter, Haushälterin, Köchin, usw. spiele.
Freunde
Eine Lösung für dieses Problem sind meine Freundinnen und Freunde. Mit zunehmenden Alter der Kinder werden die Mütter, die daheim arbeiten, immer seltener, aber ein paar kenne ich immer noch. Man kann sich prima zum Vormittagskaffee und einem kleinen Stück Kuchen treffen und auch mal ohne Kinder Zeit miteinander verbringen. Dass eine der Teilnehmerinnen dann die Rolle der Gastgeberin spielt, ist kein großes Problem. Das lässt sich mit Gegeneinladungen schnell wieder ausgleichen. Außerdem kann man sich ja auch mal draußen treffen. Jetzt, wo es draußen wärmer wird, kann man mit Thermosflasche und Tupperware auch auf der Parkbank den Kaffeeklatsch halten, oder auch mal in ein Kaffeehaus gehen.
Freizeit
Freizeit sollte man nicht an seinem Arbeitsplatz verbringen. Auch Psychologen empfehlen, die Lebensbereiche voneinander zu trennen. In diesem Artikel habe ich sogar den Vorschlag gefunden, den Weg zu Arbeit zu simulieren. Ein wenig Radio, oder einen Podcast hören und sich die Zeit nehmen, die man ansonsten im Auto, oder der Bahn verbringt, soll den Übergang einfacher machen. Ich kann das auf jeden Fall bestätigen. Auch für mich und meine Homework Life Balance sind Rituale wichtig. Sind die Kinder aus dem Haus trinke ich entspannt eine Tasse Kaffee und starte mit meiner Freizeit. Trotzdem hoffe ich, dass die Pandemie bald endgültig vorbei ist und auch bei meinem Mann wieder Alltag einkehrt. Ein Alltag, der dafür sorgt, dass ich wieder alleine daheim bin.
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