Die Welt der Buchstaben auf kinderalltag.de

Die Welt der Buchstaben

Es ist nicht selten, dass mein Mann und ich uns Abends unterhalten und uns in einer Sache völlig einig sind. Eines der Kinder spinnt eigentlich immer. Die Drei haben sich dazu ganz offensichtlich einen Schichtplan zurechtgelegt. Tatsächlich ist immer eines der Kinder extrem anstrengend. Das steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung. Immer dann, wenn sie eine neue Fähigkeit erlernen, sind sie ein paar Tage durch den Wind. Aber auch, wenn sie eine Krankheit ausbrüten, oder ihr Immunsystem effektiv gegen eine Infektion arbeitet, sind solche Phasen. Im Alltag habe ich mich schon daran gewöhnt. Es könnte ja auch schlimmer sein und alle drei könnten synchron anstrengend sein. Eine Vorstellung, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Allerdings habe ich jetzt gelernt, dass es nicht nur bei der Intensität des Auslebens des jeweiligen starken Charakters zu Unterschieden bei den Kindern kommt. Auch in der Schule gibt es mittlerweile etwas Ernüchterung für mich, als erfolgsverwöhnte Mutter.

Ich lieb(t)e Elternsprechtage

In dem letzten Buch, das ich gelesen habe, ging es um die Psychologie von Alfred Adler. Das klingt jetzt allerdings trockener, als es ist. Auf jeden Fall habe ich dort gelesen, dass ein Lob immer eine Geringschätzung ausdrückt. Das stimmt meiner Meinung nach auch. Ein Lob kommt immer von jemanden, der höher steht, als der Gelobte. Also habe ich mir jetzt angewöhnt, mich zu bedanken. Statt die Kinder wie einen Hund zu tätscheln und ihnen ein langgezogenes „feeeeeeiiiiin gemacht“ vorzusingen, bedanke ich mich jetzt, wenn sie mal etwas gut gemacht haben. Soweit zur Theorie. In der Praxis geht ein Lob bei mir runter wie Öl. Bisher bin ich, schon ein wenig lächelnd zur Schule gegangen, habe brav vor der Klasse gewartet, bis die Klassenlehrerin mich hereingebeten hat und dann fünf Minuten lang ein breites Grinsen unterdrückt und versucht sinnvolle Fragen zu stellen.

Feeeeeeeeiiiiiinnnn!!!

Tatsächlich gibt es, zumindest in der Schule, an meiner Ältesten nichts auszusetzen. Sie hat eine sehr erfahrene Lehrerin, die ich hoch schätze und es ist offensichtlich so, dass sie uneingeschränkt zufrieden mit meiner Tochter ist. So etwas hört eine Mutter natürlich gerne. Ich beschränke mich dabei nicht nur aufs Hören. So etwas erzählt eine Mutter natürlich auch gerne anderen Müttern. Neidische Blicke können eine wunderbare Sache sein. Gut, das war jetzt vielleicht übertrieben, aber wenn man mich danach fragt, dann erzähle ich gerne von meiner kleinen Vorzeigeschülerin. Aber es kann ja nicht immer alles glatt laufen. Als Mutter eines Einzelkindes wäre ich fein raus. Der kleine Augenstern aus dem Gröbsten raus und zweimal im Jahr eine schriftliche Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben, in Form eines Zeugnis.

Nummer zwei

Aber ich habe mich für mehrere Kinder entschieden. Also geht mittlerweile auch mein Sohn zur Schule. Am ersten Elternsprechtag ist mir das vorsorgliche Grinsen dann ein wenig vergangen. Mein Sohn hat einen starken Willen. Ich bin zwar, so gut es geht, konsequent und nicht erpressbar, aber er ist, genauso wie seine kleine Schwester, ausgesprochen ausdauernd und beharrlich. Offensichtlich hat der Kleine irgendwann in den ersten beiden Schulwochen entschieden, dass es ihm dort nicht gefällt. Er hat zwar immer wieder davon erzählt, dass seine Lehrerin ihn ermahnt hätte und dass er dies, oder das gemacht hätte, wir haben das aber als Übertreibung abgetan. Verwöhnt von seiner älteren Schwester, haben wir ihn sehr zuversichtlich in diesen neuen Lebensabschnitt entlassen.

Rebell

Tatsächlich habe ich erfahren, dass er alle Register gezogen hat, um sich die Schule zu ersparen. Von einfach nicht mitarbeiten, über offene Ablehnung, bis hin dazu, dass er sich während dem Unterricht offensichtlich einfach auf den Boden gelegt hat, oder einmal auch die Klasse verlassen hat. Es waren ein paar wirklich schwere Wochen. Nachdem uns die Lehrerin davon berichtet hat, haben wir natürlich ein paarmal mit ihm gesprochen. Sein Plan war offensichtlich, durch entsprechendes Verhalten zu erreichen, wieder in die Kita versetzt zu werden. Nachdem wir ihm erklärt haben, dass das grundsätzlch unmöglich ist und die Schulpflicht gesetzlich geregelt wird, hat er einen Schulwechsel angestrebt. Die Phase ist mittlerweile glücklicherweise vorbei, aber ist nicht ohne Spuren geblieben.

Förderkurs

Die Beziehung zu seiner, wirklich sympathischen und motiviert wirkenden Lehrerin, hat sich dramatisch verbessert. Er geht jetzt sehr gerne zur Schule, geht morgens mit einem Lachen hinein und kommt Mittags mit demselben Lachen wieder raus. Stolz erzählt er, was er alles gelernt hat und freut sich sogar über Hausübungen. Dummerweise ist die erste Klasse aber ziemlich intensiv. Woche für Woche lernen die Kinder neue Buchstaben und mittlerweile Wörter.

Wer die ersten Wochen in Rückenlage in der Klasse verbringt, hat bei dem Tempo ein Problem. Bei meinem Sohn ist die Folge offensichtlich eine Leseschwäche. Seit letzter Woche bleibt er deswegen einmal pro Woche eine Stunde länger in der Schule und wird gefördert. Das finde ich sehr positiv, weil ursprünglich hat die Lehrerin uns in Aussicht gestellt, dass sie ihn nicht beurteilen kann, wenn er nicht mitarbeitet. Dass er jetzt zum Förderkurs geht, ist also ein gutes Zeichen. Sie sieht also noch Hoffnung.

Lese- und Rechtschreibstörung

Es bleibt aber zu hoffen, dass seine Probleme mit dem Lesen wirklich nur damit zu tun haben, dass er die Aufnahme des Lehrstoffes verweigert hat. Mir fehlt für die Beurteilung seines Lesens eine Referenz. Ich kann mich einerseits nicht erinnern, wie meine Älteste nach 4 Monaten gelesen hat, andererseits hat ihre Lehrerin nach einem anderen Plan unterrichtet. Sie hat uns beim ersten Elternabend gesagt, dass die Kinder erst nach dem ersten Halbjahr beginnen werden, zu lesen. Ich weiß also nicht, ob mein Sohn wirklich viel schlechter liest, als andere Kinder in seiner Klasse. Es gibt zwar in meiner und der Familie meines Mannes keine Fälle, aber man kann nicht ausschließen, dass er Legastheniker ist. Ich habe mich mal auf einer Website, die eine LRS Therapie online anbietet, informiert. LRS steht dabei für Lese- und Rechtschreibstörung.

Legasthenie

Die Legasthenie, wie man die Lese- und Rechtschreibstörung auch nennt, äußerst sich bei den Betroffenen darin, dass es Probleme in der Umsetzung von Schrift zu Sprache und umgekehrt gibt. Wo wir im Lesefluss das ganze Wort sofort erfassen und es fast schon hören, wenn wir es lesen, muss der Legastheniker mühsam Buchstabe für Buchstabe erfassen und zum Wort zusammensetzen. Auch beim Schreiben gibt es Probleme, weil die Silben nicht so einfach in Buchstaben übersetzt werden können, wie bei gesunden Menschen. Prinzipiell vertraue ich darauf, dass die Lehrerin darauf sensibilisiert ist. Etwa 4% der Bevölkerung ist in Deutschland von der Lese- und Rechtschreibstörung betroffen. Damit ist statistisch in jeder zweiten Schulklasse ein Kind betroffen. Ob man das aber so früh überhaupt erkennen kann, weiß ich auch nicht. Um zu erkennen, dass man Probleme beim Lesen hat, muss man es zuerst einmal lernen.

Die Welt der Buchstaben

Alleine, dass ich hier sitze und auf meiner Tastatur aus Buchstaben Wörtern forme, die einen zusammenhängenden Text ergeben und viele Leser diesen Text später lesen können, ist ein wunderbare Sache. Die Menschheit müsste mit jeder Generation immer wieder bei Null beginnen, wenn wir die Schrift nicht hätten. Bei meiner Ältesten habe ich mit großer Freude beobachtet, wie sie die Welt der Buchstaben nach und nach entdeckt hat. Man merkt es garnicht mehr, aber die Welt ist von allen Seiten fast überall beschriftet. Von Werbung über Verkehrsschilder und Nummerntafeln bis hin zu Büchern und Websites gibt es so unendlich viel zu lesen. Lesen ist einfach unglaublich. Wenn wir es zulassen, kann ein Text uns zum Lachen und zum Weinen bringen. Buchstaben können Emotionen von Freude bis Hass auslösen. Zumindest sind sie das Transportmittel.

Fremde Gedanken

Gedanken aus meinem Kopf gelangen über den Text bis zu Dir und in Deinen Kopf. Die Welt der Buchstaben erlaubt also die Gedankenübertragung. Man kann Wissen transportieren und für die Nachwelt konservieren. Lesen ist aber auch eine Qualifikation, die man in jedem Job braucht. Niemand will heute telefonieren. Man schreibt sich. Ist man von einer Lese- und Rechtschreibstörung betroffen, dann bedeutet das nicht nur eine schlechte Rechtschreibung und langsames Lesen.

Es bedeutet, dass man ein Stück weit auch aus dem modernen Leben ausgeschlossen wird. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung. Ich werde meinen Sohn in der nächsten Zeit ganz genau beobachten. Vorerst gehe ich aber davon aus, dass er kein Problem beim Lesen hat, sondern nur nachholen muss, was er verpasst hat. Die Welt der Buchstaben ist ein wunderbarer Ort. Sobald man das verstanden hat, hat man eine starke Motivation lesen zu lernen. Das wird sicher auch bei meinem Sohn klappen.

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